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Preußischer Landtag

Von Alexander Glintschert.

Preußisches HerrenhausVon der Leipziger Straße bis hin zur Niederkirchnerstraße, der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße, erstreckt sich ein großer, beeindruckender Gebäudekomplex, der wie kaum ein anderer in Berlin eng mit der parlamentarischen Geschichte Deutschlands verknüpft ist. Die Rede ist vom (ehemaligen) Preußischen Landtag. Dieser Gebäudekomplex, der sich ganz der Nähe des Potsdamer Platzes und der Friedrichstraße befindet, umfaßt zwei Gebäude: das Abgeordnetenhaus und das Preußische Herrenhaus. Geprägt werden diese drei Bezeichnungen bereits im 19. Jahrhundert, zu Zeiten des Preußischen Staates. In erster Linie bezeichnen sie in der damaligen Zeit die jeweilige staatlich-parlamentarische Institution. Bald jedoch werden die Begriffe auch auf die Gebäude, in denen diese Institutionen jeweils ihren Sitz haben, übertragen.

Das Gebäude des Abgeordnetenhauses befindet sich direkt gegenüber des Martin-Gropius-Baus in der Niederkirchnerstraße, das Preußische Herrenhaus steht in der Leipziger Straße Nr. 4. Die Historie dieser Gebäude scheint in einem leichten Nebel der Geschichte zu beginnen. Je nach zu Rate gezogener Quelle variieren die Daten ihrer Erbauung.

Das Abgeordnetenhaus wird demnach etwa in den Jahren 1892 bis 1899 nach Plänen des Geheimen Baurats Friedrich Schulze-Colditz errichtet. Unmittelbar daran schließen sich die Bauarbeiten für das Preußische Herrenhaus an: Es wird von 1899 bis 1904 erbaut. Der Architekt ist ebenfalls Friedrich Schulze-Colditz. Das Herrenhaus wird nach seiner Fertigstellung der Sitz der ersten Kammer des Preußischen Landtages, des sogenannten Herren- bzw. Oberhauses; die Zweite Kammer, das sogenannte Abgeordnetenhaus, wird von dem Gebäude gleichen Namens aufgenommen.

Die Innenausstattung des Abgeordnetenhauses kurz nach seiner Erbauung ist reichhaltig. Die Treppenhalle wird von vier Allegorien beherrscht, die sie von ihren Treppenpodesten überblicken. Passend zur Funktion des Gebäudes symbolisieren sie die Vaterlandsliebe, die Gerechtigkeit, die Weisheit und die Beredsamkeit - die wünschenswerten Tugenden eines Abgeordneten, die leider oft nur ein Wunsch bleiben. Über der Halle wölbt sich ein mit einem umlaufenden Fries und dem Reichsadler verziertes Glasdach, durch das angenehmes Tageslicht hereinflutet. Die Decke der Treppenaufgänge ist mit Stuckornamenten, gestaltet in reicher Farbenpracht, und kunstvollen Malereien geschmückt. Die Wappen der preußischen Regierungsstädte prangen auf der umlaufenden Galerie.

Das Kasino des Abgeordnetenhauses ist mit Decken- und Wandmalereien ausgestattet, die eine Hetzjagd der Jagdgöttin Diana zeigen. Sie und ihre Gefährten treiben mit einer Hundemeute dem Koch das Wild in die Speisekammer. Der mittlere Raum weist eine Stuckdecke auf und ist mit kunstvollen Holzschnitzarbeiten und "Hopfen und Wein"-Fenstermalereien geschmückt. Die Beratungen der Abgeordneten finden im großen Plenarsaal des Abgeordnetenhauses statt. Dieser ist mit Eichenholz vertäfelt und besitzt eine mit prächtiger Malerei verzierte Glaskuppel. Bei einem wegen der schlechten Akustik bereits ein Jahr nach seiner Fertigstellung erforderlichen Umbau des Plenarsaals werden die Wände mit Bildern von Stadtansichten preußischer Provinzen geschmückt. Zusätzlich werden zwei weitere überlebensgroße Allegorien hinter dem Sitz des Präsidenten aufgestellt: die Gerechtigkeit und die Wahrheit.

Der Ministersaal verbindet die beiden Häuser des Preußischen Landtages miteinander. Über ihn wird der Verkehr zwischen den beiden Kammern erleichtert, gelangt man doch auf direktem Wege vom Abgeordnetenhaus in das Herrenhaus. Dieses im Stil einer barocken Schloßanlage gehaltene Gebäude wird anstelle eines bereits vorhandenen errichtet, dessen Geschichte hier nicht unerwähnt bleiben soll:
Bereits im Jahre 1735 hatten an dieser Stelle zwei Offiziere auf Anordnung von König Friedrich Wilhelm I. auf dem Areal einen Adelssitz errichtet. Fünfundzwanzig Jahre später zog in das Gebäude eine Seidenmanufaktur ein. 1825 übernahm es dann der Bankier Abraham Mendelssohn Bartholdy. Sein Sohn Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte hier seinen "Sommernachtstraum". Später hatte der Reichstag in diesem Gebäude seinen Sitz. Nach dessen Umzug in das neue Domizil im heutigen Reichstagsgebäude im Jahre 1894 wurde das Haus abgerissen und das Preußische Herrenhaus an seiner Stelle errichtet.

Das Herrenhaus verfügt ebenfalls über einen Plenarsaal und besitzt mit dem Ehrenhof eine kleine Gartenanlage mit einem Brunnen. Das Zentrum der Vorderfront des Gebäudes bildet ein Portal, über dem ein Giebeldreieck thront. Dieses ist mit einem Relief geschmückt, dessen Figuren von Otto Lessing, einem Nachfahren des Dichters Gotthold Ephraim Lessing, geschaffen wurden. Sie repräsentieren das Recht, die Milde und die Treue und weisen auf die Bestimmung des Hauses als Erste Kammer der damals zweigeteilten Volksvertretung in Preußen hin.

Nach der Novemberrevolution im Jahre 1918 ändert sich die politische Situation in Deutschland grundlegend. Das alte Kaiserreich wird regelrecht hinweggefegt, und es bildet sich eine völlig neue politische Ordnung heraus. Im Dezember 1918, genauer vom 16. bis zum 21. Dezember, wird im Preußischen Landtag für die zukünftige Weimarer Republik ein parlamentarisches Regierungssystem beschlossen. Daraufhin tagt 1919 im Herrenhaus der allgemeine Kongreß der Arbeiter und Soldatenräte, der sogenannte Reichsrätekongreß. Dieser faßt den Beschluß, allgemeine und freie Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung, zur Nationalversammlung, anzuberaumen. Nach der Wahl tagt diese dann in Weimar und beschließt dort die Verfassung der Weimarer Republik, der ersten Republik auf deutschem Boden. Zum ersten Mal wird für Preußen ein allgemeines, direktes und geheimes Wahlrecht in einer auf demokratischen Prinzipien beruhenden Verfassung beschlossen. Als absolutes Novum wird überdies das Frauenwahlrecht eingeführt. Im Kaiserreich konnte das Volk sein Abgeordnetenhaus nur nach dem undemokratischen Dreiklassenwahlrecht wählen, das sich nach dem Steueraufkommen richtete. Die adligen Mitglieder des Herrenhauses waren vom Volk nicht wählbar. Sie wurden vom Kaiser höchstpersönlich für die Erste Kammer ernannt. Prominentes Mitglied des Herrenhauses war seit 1917 Konrad Adenauer. Als Oberbürgermeister von Köln, einer Stadt, die zur preußischen Rheinprovinz gehörte, hatte er wie alle Oberbürgermeister der preußischen Großstädte sowohl Sitz als auch Stimme im Oberhaus.

Der Jahreswechsel 1918/19 bringt noch ein weiteres Ereignis mit sich, das für die Geschichte Deutschlands bedeutsam werden soll: Im Herrenhaus wird die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet. Gründungsmitglieder sind die wenig später von Mitgliedern der Reichswehr ermordeten Sozialisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Die neuen politischen Verhältnisse in Deutschland führen zur Abschaffung des Herren- bzw. Oberhauses. Es wird kurzerhand aufgelöst. Die Bezeichnung "Preußischer Landtag" wird nun nur noch für das Abgeordnetenhaus verwendet. Dennoch wird das Preußische Herrenhaus auch in der Weimarer Republik (1919-1933) weiterhin genutzt: im Mai 1921 wird das Gebäude Sitz des neu gebildeten Preußischen Staatsrats. Dessen Präsident ist bis zur Errichtung der Nazidiktatur Konrad Adenauer. Daran erinnert heute in der zum Preußischen Landtag nahegelegenen Wilhelmstraße an einem kaiserzeitlichen Ministeriumsbau eine Bronzetafel.

In der Weimarer Republik regiert nun bis zum April des Jahres 1932 die sogenannte Weimarer Koalition. Diese wird gebildet von den Sozialdemokraten, der Zentrumspartei und der DDP. 1932 erhält bei den Landtagswahlen die NSDAP die meisten Stimmen und das Ende der Weimarer Republik wird eingeläutet. Nach dem sogenannten "Preußenschlag" 1932 setzt der Reichskanzler Franz von Papen mit Hilfe eines Ermächtigungsgesetzes die demokratische Regierung Preußens ab und ernennt sich selbst zum Reichskommissar für Preußen. Im Mai 1933 tritt der preußische Landtag schließlich das letzte Mal zusammen. Hermann Göring wird nach staatsstreichähnlicher Absetzung nach Otto Braun der letzte preußische Ministerpräsident. Schließlich wird der Preußische Landtag am 18. Mai 1933 aufgelöst.

Das Preußische Herrenhaus wird in "Preußenhaus" umbenannt. Beide Gebäude gehen an eine eigens dafür gegründete Stiftung "Preußenhaus" über und stehen von nun an verschiedenen NS-Dienststellen zur Verfügung. 1934 wird im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses der nationalsozialistische Volksgerichtshof gegründet, der bis 1935 wiederholt im Herrenhaus tagt. In diesem Jahr werden die Gebäude dem Reichsluftfahrtministerium unter Leitung des nunmehrigen Reichluftfahrtministers Hermann Göring übereignet.

Mit einem großangelegten Umbau wird der ehemalige Preußische Landtag nun zum "Haus der Flieger" umgestaltet. Der verantwortliche Architekt Ernst Sagebiel läßt die meisten dekorativen Elemente kurzerhand entfernen und die Ausgestaltung stark vereinfachen. Beispielsweise werden die Allegorien auf den Treppenpodesten im Abgeordnetenhaus für das einzurichtende Vergnügungshaus durch 3,50 Meter hohe mehrarmige Leuchter ersetzt.

Der Zweite Weltkrieg hinterläßt beide Gebäude in einem stark zerstörten Zustand. Lediglich die Kuppel des Plenarsaals des Abgeordnetenhauses übersteht diese Katastrophe mit nur geringen Schäden.

Nachdem 1949 die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurde, bezieht noch im selben Monat ihr erster Ministerpräsident Otto Grotewohl Räume im Abgeordnetenhaus. Schließlich wird es offiziell zum Regierungssitz der DDR erklärt. Um die Räume für die neue Regierung bereitzustellen, müssen natürlich Rekonstruktionsarbeiten durchgeführt werden. Dabei werden auch die zerstörten Flure und Treppenhäuser wiederhergestellt. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wird in der DDR das beinahe völlig zerstörte Abgeordnetenhaus teilweise restauriert. Es wird als Teil des "Hauses der Ministerien", dem heutigen Detlev-Rohwedder-Haus, der Sitz des Ministerrats der DDR, der staatlichen Planungskommission und des Landwirtschaftsministeriums. Auch das Herrenhaus wird zwischen 1947 und 1952 teilweise wiederaufgebaut. Dies betrifft vor allem den Mitteltrakt und den Westflügel. Das Innere dieses Gebäudes wird dabei durch verschiedene Einbauten grundlegend verändert. Ab 1955 nutzt die Akademie der Wissenschaften der DDR das Haus. Der Ostflügel wird schließlich Ende der 50er Jahre abgeteilt und ebenfalls dem "Haus der Ministerien" zugeordnet.

Zwischenzeitlich wird der Plan entwickelt, die Gebäude in ihrem alten Zustand aus der Zeit der Weimarer Republik vollständig zu rekonstruieren. Ziel ist die Einrichtung einer Gedenkstätte der KPD-Gründung. Diese Idee wird jedoch in den sechziger Jahren fallengelassen. Zum einen erweisen sich die Kosten dieses Unternehmens als ausgesprochen hoch, zum anderen liegen die Gebäude außerordentlich nah an der inzwischen errichteten Berliner Mauer. Aus eben diesem Grunde geschieht nun lange Jahre praktisch nichts mehr in Bezug auf die Rekonstruktion der Gebäude. Im Gegenteil: wegen der unmittelbaren Nachbarschaft der Grenze ist der ehemalige Preußische Landtag für die Öffentlichkeit nur noch schwer zugänglich. Lediglich Mitglieder der Akademie der Wissenschaften und andere explizit zugelassene Personen haben Zutritt.

Das Jahr 1989 bringt schließlich die politische Wende in der DDR, die schließlich zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten führt. Im Januar 1991 nimmt das erste demokratisch gewählte Abgeordnetenhaus für das vereinigte Berlin seine Arbeit auf. Es hat seinen Sitz genau wie das rein Westberliner Abgeordnetenhaus vor ihm im Rathaus Schöneberg. Es kommt jedoch die Idee auf, die Berliner Volksvertretung in das ehemalige Abgeordnetenhaus umziehen zu lassen, und schon im Juni des Jahres 1991 findet der erste symbolische Spatenstich für die Rekonstruktion statt. Über einen Zeitraum von zwei Jahren, wird das Gebäude vollständig wiederhergestellt. Und so zieht 1993 das Berliner Abgeordnetenhauses vom Rathaus Schöneberg hierher um.

Doch auch das ehemalige Preußische Herrenhaus findet wieder eine neue Bestimmung. Ursprünglich war das Gebäude nach der Wende als Berliner Dienstsitz für fünf in Bonn verbleibende Ministerien vorgesehen. Auf eine Initiative Bayerns hin wird im Bundesrat eine Abstimmung von 1991, in der die sechzehn Bundesländer beschlossen hatten, daß der Bundesrat in Bonn bleiben solle, wiederholt. Diese erneute Abstimmung, die im September 1996 stattfindet, führt schließlich zu dem Entschluß, nach dem Bundestag auch den Bundesrat nach Berlin umziehen zu lassen. Sitz des Bundesrates wird das Herrenhaus. Die Rekonstruktions- und Umgestaltungsarbeiten beginnen im März 1997 nach Plänen der Architekten Schweger ü Partner und können bis zum Jahr 2000 abgeschlossen werden.

Auf diese Weise ist der ehemalige Preußische Landtag, bestehend aus Preußischem Herrenhaus und Abgeordnetenhaus, heute wieder genau so eng mit der deutschen parlamentarischen Geschichte verbunden wie zu Beginn seiner Geschichte.

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© 2003-2012, Alexander Glintschert
Zuletzt geändert: 07 August, 2012